Beschlossener Spin-off von PG stimmt nachdenklich
20.05.2019
Der Verein der Belegschaftsaktionäre hat eine Pressemitteilung zum Spin-off von PG herausgegeben.
Sachverhalt
Der Aufsichtsrat der Siemens AG hat auf seiner Sitzung vom 7.5.2019 einstimmig beschlossen, dass der Unternehmensbereich Power and Gas (PG) im September 2020 im Rahmen eines Spin-off als selbständiges Unternehmen an die Börse gebracht wird. Spin-off bedeutet, jeder Aktionär bekommt für jede seiner Siemensaktien im Ausgabeverhältnis kostenlos Aktien des neuen Unternehmens. Siemens wird ähnlich wie nach dem Spin-off von Osram nicht mehr Mehrheitseigentümer dieses Bereichs sein. Das Windgeschäft wird in die neue AG integriert, als neuer Firmensitz wurde Deutschland festgelegt. Derzeit wird der Bereich von Lisa Davis aus Houston, Texas, geleitet. (1)
Renditesteuerung
Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat begründen ihre Zustimmung zur Abspaltung mit dem Hinweis, dass nur noch Rationalisierungsinvestitionen getätigt wurden. PG und das Windgeschäft würden unter Siemens sprichwörtlich verhungern, deshalb brauche dieses Geschäft neue Eigentümer. Der geplante Abbau von 10.000 Mitarbeiter(innen) wurde in der Hoffnung auf eine stabile Zukunft in Kauf genommen. Überraschend ist die stiefmütterliche Behandlung von PG und Windgeschäft bei Investitionen jedoch nicht: Der Aufsichtsrat hat in seiner Sitzung vom August 2018 das sogenannte Siemens Financial Framework (SFF) beschlossen, dabei wird als Zielvorgabe ein Zuwachs der Umsatzerlöse von 4-5 % festgelegt. Ziele haben naturgemäß eine Steuerungsfunktion, sodass die Zurückhaltung bei Investitionen in Bereichen, die derartige Renditezuwächse nicht generieren können, eine logische Folge der Zielvorgaben ist. Wir Belegschaftsaktionäre kritisieren generell Finanzziele als Primitivziele. Finanzziele lassen sich lange Zeit auf Kosten von Innovation und Zukunftsfähigkeit realisieren. Aus unserer Sicht wäre der richtige Weg, unternehmerische Ziele zu formulieren und als Ergebnis guter unternehmerischer Tätigkeit Renditen einzufahren. Wir kennen kein Unternehmen, das langfristig mit Finanzzielen erfolgreich war. Bekannte Negativbeispiele jüngerer Zeit sind GE und Deutsche Bank. Aus unserer Sicht haben die Finanzziele der letzten Jahre trotz beachtlicher FuE-Aufwendungen zu einer Stagnation bei den Innovationserfolgen von Siemens geführt.
Auswirkungen der Investitionsdürre
Das Service-Geschäft für Turbinen ist nach wie vor lukrativ, obwohl hart umkämpft. Ausschlaggebend, ob man den Zuschlag für die Überholung einer Gasturbine bekommt, sind geringste Verbesserungen des Wirkungsgrades. Wenn der Wirkungsgrad einer 500 MW-Gasturbine um 0,1 % verbessert werden kann, produziert diese Turbine pro Stunde 500 kWh mehr Strom. Bei einem Verkaufspreis von 3 Cent pro kWh und einer typischen Laufzeit von 4500 Stunden im Jahr schlägt diese geringe Verbesserung mit 67.500 Euro jährlich zu Buche! Verbesserungen auf diesem Niveau gelingen aber nicht automatisch, akribische Entwicklungsarbeit und Investitionen sind erforderlich. Die beobachtete Investitionsdürre schädigt deshalb langfristig auch die bisher lukrativen Teile des Geschäfts. Insofern ist nachvollziehbar, dass Gewerkschaft und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sich neue Eigentümer wünschen, die dem Renditewahn nicht verfallen sind.
Fehlentscheidungen
Niemand kann in die Zukunft sehen, fehlerhafte Einschätzungen sind deshalb keine Schande und müssen einkalkuliert werden. Beim Kauf von Dresser-Rand, einem amerikanischen Ausrüster der Ölindustrie, haben sich unsere Befürchtungen bewahrheitet. (2) Die mit der Verlagerung des PG-Headquarters nach Houston, Texas, verbundenen Erwartungen wurden aus unserer Sicht nicht erfüllt, weil der US-Markt sich anders als erwartet entwickelte. Eine Reihe von Entscheidungen haben die mit ihnen verknüpften Erwartungen nicht erfüllt. Man hat beispielsweise an teuren Standorten wie Seoul PG-Teams installiert, um mit Kundennähe einen Kundenvorteil zu generieren. Tatsächlich unterscheiden sich jedoch die meisten Kraftwerke in technischen Details. Wegen der Vielzahl an Möglichkeiten können nicht für alle Varianten Fachleute vor Ort vorgehalten werden. Räumliche Nähe bedeutet in solchen Fällen keine Kundennähe, dazu bedarf es der fachlichen Nähe! Über Jahrzehnte hat der lokale Vertriebsingenieur den entsprechenden Spezialisten aus dem Stammhaus zum Kunden mitgenommen, Planungen wurden im Stammhaus durchgeführt. Wir halten es für einen Fehler, bewährte Strukturen für diffuse Hoffnungen aufzugeben.
Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass alle Geschäftsfelder mit erfreulichen Ergebnisbeiträgen schlechte Zeiten durchlebten. Der Vorteil eines Konglomerates ist, dass schwere Zeiten für einzelne Geschäftsgebiete überstanden werden können und sich sogar neue Ergebnisriesen entwickeln können. Wir halten die Konzentration auf Renditen für einen großen Fehler und für eine vorübergehende Manager-Marotte.
CO2-Ausstoß
Deutschland braucht jährlich 600 Mrd. kW/h Strom. Die angestrebte Dekarbonisierung wird den Energiebedarf weiter in Richtung Strombedarf verschieben. Aktuell werden 40 % des Strombedarfs mit erneuerbaren Energieträgern abgedeckt, ein Anteil, der nur unter gewissen Randbedingungen erhöht werden kann. Gleichzeitig sehen wir seitens der Bundesregierung eine höchst zweifelhafte Energiepolitik, die zu den höchsten Strompreisen Europas führte und einen Boom bei den Kohlekraftwerken auslöste, obgleich kombinierte Gas- und Dampfkraftwerke (GuD-Kraftwerke) nur ein Drittel des CO2 von Kohlekraftwerken ausstoßen. „Wird zum Beispiel Braunkohle aus der Lausitz in einem Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 35 % verfeuert, entstehen pro Kilowattstunde elektrischer Energie dann 1,17 kg Kohlendioxid. Bei einem Erdgas-GuD-Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 60 % sind es hingegen nur 0,33 kg Kohlendioxid. Durch den Ersatz des Braunkohlekraftwerks ließen sich damit über 70 % Kohlendioxid einsparen.“ (3)
Ein Blick auf den aktuellen weltweiten CO2-Ausstoß für eine bereitgestellte KWh Strom zeigt das Potential von GuD-Kraftwerken, das nicht mit kleinen Turbinen gehoben werden kann, weil diesen nicht der exorbitant hohe Wirkungsgrad zu eigen ist. Die oft eingerechnete Nutzung der Abwärme ist nur in solchen Fällen seriös, in denen sie tatsächlich genutzt werden kann.
Wir Belegschaftsaktionäre beklagen, dass Siemens die bisherigen Vorstellungen der Politik nicht ausreichend um wirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Vorschläge ergänzt. Der Blick auf den Istzustand der Energiepolitik ist zugegeben frustrierend, aber absehbar nicht das letzte Wort bei der CO2-Bewirtschaftung! (4)
Aufgabe von Synergien
Siemens hat 2016 mit CD-adapco einen Spezialisten mit 900 Mitarbeitern zur Simulation von Fluid Dynamics, Wärmeübertragung und Partikeldynamik für 970 Millionen USD erworben. Diese Kompetenzen werden beispielsweise zur Minimierung von Luftwiderständen bei Fahrzeugen gebraucht und können teuren Modellbau und Windkanalversuche zumindest in Teilen ersetzen. Damit lassen sich aber auch Gasturbinen und Windräder optimieren. Somit könnten die für Digital Factory erworbenen Fähigkeiten ein gelungenes Beispiel für Synergieeffekte sein. An diesem Beispiel erkennt man, dass Synergie-Argumente nach Belieben aus dem Hut gezaubert werden und dort ebenso beliebig wieder verschwinden.
Aber auch organisatorische Synergien gehen verloren. Am Beispiel Ausbildung wird dies besonders gut sichtbar: Früher haben wir die Ausbildung von Fachkräften für Fremdfirmen gegen Bezahlung übernommen, um unsere Werkstätten und das Personal optimal auszulasten. Mit der Ausgliederung wären zusätzlich entsprechende Kooperationsvereinbarungen in der Ausbildung erforderlich. Ohne solche Vereinbarungen würde sich die Ausbildung absehbar verschlechtern oder verteuern. Ein weiterer wichtiger Aspekt zu Synergien liegt im Skalenvorteil bei Softwareanwendungen und Unternehmensprozessen. Schwierig wird es beispielsweise für die Niederlassungen, die als Schnittstelle zu den Kunden den Geschäftserfolg erst ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen
Verein von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG, e.V.
c/o Ernst Koether, Bäckerstr. 37, 81241 München,
Telefon: 089/89670229, Fax: 03212/1239263,
E-Mail:
WEB: https://www.unsereaktien.de/
in der Pressemitteilung erwähnte Links
(1) Onvista: Kaeser baut Siemens radikal um - 10.000 Stellen weg
(2) Pressemitteilung zu Dresser-Rand
(3) Spezifische Kohlendioxidemissionen verschiedener Brennstoffe
(4) Climate Change Mitigation Policies